Erscheint am 15. Oktober 2019 beim Kosmos Verlag
Oft, wenn ich entfernteren Bekannten oder Verwandten von meinem derzeitigen Leib- und Magenthema erzähle, ernte ich befremdete Blicke. Das liegt offenbar daran, dass es nicht, sagen wir, von Vulkanen oder den Fortschritten der Medizin handelt. Nein, es dreht sich um das Erdmagnetfeld. Auf den Stirnen meiner Gegenüber lässt sich dann etwas ablesen wie: "Aha. Schon etwas sonderbar, oder?"
Das Erdmagnetfeld hat so gut wie niemand auf dem Schirm. Mit Google Trend lässt sich das klar belegen: Dort werden alle Suchanfragen ausgewertet und Monat für Monat angezeigt, wie interessant ein Thema für die Suchgemeinde ist. Also habe ich bei der Recherche für dieses Buch den direkten Vergleich gewagt - Suchwort 1: Erdmagnetfeld. Suchwort 2: Noroviren, die hatten wir nämlich grad im Haus. Suchwort 3: Terror. Der Terror gewinnt in dieser Trias immer, und das Erdmagnetfeld erhält in zwölf Jahren nicht ein einziges Mal auch nur einen Punkt. Schwerwiegender Zweifel: Sollte man überhaupt ein Buch über das Erdmagnetfeld schreiben?
Doch, sollte man, eindeutig und mit Nachdruck! Das Erdmagnetfeld ist nämlich eines der faszinierendsten Phänomene, die es gibt. Die Geschichte seiner Erforschung ist reich an Anekdoten, und einige spektakuläre Ereignisse stehen in direktem Zusammenhang mit ihm. Aber es hat auch gewichtige Nachteile in Sachen Publikumswirksamkeit: Es ist nicht zu sehen, nicht zu hören und schon gar nicht mit der Nase zu erschnüffeln. Es schädigt nicht die Gesundheit, und es ist in seiner Riesenhaftigkeit so unauffällig, dass man beim Zähne- oder Fensterputzen durchschnittlich genauso oft daran denkt wie an die Weiten des Pazifik - nämlich nie. Darum zunächst ein kurzer Werbeblock mit Lobpreisungen, um das Erdmagnetfeld aus der stiefmütterlichen Ignoranz des Alltags herauszuheben:
Weit draußen, mehrere zehntausend Kilometer vom Erdboden entfernt, trotzt du 24/7 den Invasoren aus dem All. Sonne und Sterne und andere Giganten des Universums schleudern ihren Teilchen- und Strahlungsmüll achtlos in die Gegend, aber wenn er uns zu nahe kommt, dann bist du da und lenkst ihn einfach ab. Wir leben - dank deiner, oh Erdmagnetfeld, weil du uns schützend umhüllst.
(Was die Werbung nicht erzählen würde: Die Atmosphäre hat dabei natürlich auch ein Wörtchen mitzureden, denn die hochenergetischen Teilchen, sofern sie es in unseren Luftraum schaffen, werden dort immer weiter abgebremst und zerlegt.)
Tief im Bauch unserer Erde kocht und brodelt es bei unsäglichen Temperaturen um die 5000 Grad. Flüssige Metallmassen vollziehen einen Tanz, streben wie in einer gigantischen Lavalampe vom heißen Erdkern aus nach oben und fallen, wenn sie sich wieder abgekühlt haben, hinunter. Sie denken bei einer Quelle an Mineralwasser oder Bier? Sie denken, die Macht der Vulkane ist gigantisch? Think bigger! Diese Quelle hier speist das Erdmagnetfeld in mehr als 3000 Kilometern Tiefe!
(Zu dieser Reise wird es natürlich nie kommen. Mal abgesehen von der Hitze, können wir doch nur an der Oberfläche kratzen: Die tiefste Erdbohrung, die sogenannte Kola-Bohrung, wurde 1992 nach 22 Jahren in etwas mehr als zwölf Kilometern Tiefe abgebrochen.)
Glauben Sie, die Seefahrt, der Handel mit fernen Ländern und Kulturen oder die Entdeckungsreisen ins Unbekannte haben unsere Welt bereichert, das Wissen befördert, ja vielleicht sogar einen Beitrag für unseren heutigen Lebensstandard geleistet? Dann stellen Sie sich die Seefahrt mal ohne Kompass vor - eine glückliche Heimreise mit neuen Waren, Geschichten und Erkenntnissen im Gepäck wäre weniger wahrscheinlich. Und woran richtet sich die Kompassnadel aus? Ja richtig, am Erdmagnetfeld!
(Heutzutage haben wir natürlich das GPS, und das ist in der Regel genauer und einfacher zu handhaben als ein Kompass. Aber auch die GPS-Satelliten sind auf das Erdmagnetfeld angewiesen. Dort oben in 20.000 Kilometern Höhe schützt es nämlich ihre Bordelektronik gegen Strahlung und den Teilchenbeschuss aus dem All.)